Mit der Produktion 2015 haben sich zwei verdiente Mitglieder der Gruppe in den verdienten Bühnen-Ruhestand zurückgezogen.
Miss Marilyn
Nicht alles, was über den ‚Großen Teich‘ zu uns in unser kleines beschauliches Land kam, gereichte uns immer zum Vorteile. Das Letzte, so erinnern wir uns, war wahrscheinlich der sogenannte ‚Marshallplan‘, mit dem es gelang, das zerrüttete Fleckchen Erde inmitten Europas – Österreich genannt – wieder aufzurichten. So gesehen – im welthistorischen Zusammenhang – kam aber kurz danach noch etwas zu uns, das – oder besser gesagt – die! es schaffte, wenn auch nur im Kleinen, aus dem Häufchen LaiendarstellerInnen der HOSIsters eine ansehnliche, professionelle Truppe zu zimmern, deren Stärken im Gesang und Tanz erst durch ihre Persönlichkeit wachgeküsst wurden.
Die Rede ist von Marilyn Brandl. Als verdienstvolle Ehren-HOSIster blickt sie auf eine über dreißigjährige Dienstzeit bei der Gruppe zurück, in der sie als akademische Pianistin und ausgebildete Choreographin in einzigartiger Weise die schwere Last der gesamten musikalischen Oberleitung der HOSIsters innehatte. Und wer schon einmal den wilden Haufen bei einer der stundenlangen, mühevollen Gesangsproben oder gar ihre berüchtigten ‚Einzelproben‘ erlebt hat, weiß was dies bedeutet!
Der Verfasser dieser ehrlichen, kleinen Huldigung an diese Ausnahmefrau und begnadeten Künstlerin kann davon ein Lied singen. Lieber nicht, werden jetzt viele still ausrufen! Und dennoch, es muss gesagt werden: Ihrem absoluten Gehör ist es zu verdanken, dass wenn auch nur der leiseste Anflug einer Atonalität bei der Solistin/dem Solisten zu bemerken war, ihr gestrenger aber milder Blick über das vor ihr entfaltete Notenblatt glitt, sie das korrepetierende Spiel am Flügel abrupt einstellte und mit sanfter aber bestimmter Stimme sagte:
„Das probieren wir jetzt gleich nochmal. Aber diesmal richtig.“
Ihr war nichts zu verbergen, und so glich jede Einstudierung einer Ensemblenummer einem Spießrutenlauf, wenn sie lauschend, teils zustimmend nickend, teils mit gestrengem Ohre durch die Reihen schritt und den Tönen und Harmonien der schwitzenden ProtagonistInnen aufmerksam folgte, damit endlich eine Nummer so perfekt war, dass selbst nicht einmal deren Komponist sie wieder erkannt hätte.
Zu ihrer auffallenden Fähigkeit gehört es, wie im Schlafe die 88 Tasten der Klaviatur mühelos hinauf und hinunter zu spielen und dabei gleichzeitig die je eigenen Charakteristika des/der ihr anvertrauten Darstellers/Darstellerin einzufangen und mitzuentwickeln. Vertrauensvoll legte man(n)/frau sich in ihre Hände, denn eines war gewiss – auf Marilyn ist unbedingter Verlass!
Als Professionelle, die dem Theater, der Bühne nie fern, sondern sogar sehr nah war, schöpfte sie aus einem unermesslichen Fundus an Musiken. Und kam es einmal vor, dass die überzogenen Wünsche der SängerInnen gesangliches und stimmliches Neuland erforschen wollten, so war sie die erste, die voll Tatendrang und mit Hingabe nicht nur neue Noten schrieb, Höhen höher und Tiefen tiefer transponierte, nein, sondern auch den neuen und jeweils aktuellen Musikgeschmack beinhart prüfte, das postmoderne-zeitgeistige Lied bearbeitete, solange, bis es HOSIstergerecht zur Aufführung gelangen konnte. Dur und Moll waren ihr Zuhause und mit sensitiven Zwischentönen setzte sie Maßstäbe bei Interpretation und Interpunktion die punktgenau den Nerv einer von vollmundigem orchestralen Klang verwöhnten ZuhörerInnenschaft traf. Hier wie dort dankte es ihr das Publikum und nicht zuletzt jeder aus der Truppe, denn sie war es, deren formende Hand den unschuldigen Klang, die losen Töne der Gruppe zu einem grandiosen Klangkörper knetete, auf dass er sich allabendlich als feingewebter Klangteppich über die Zuhörenden ergösse.
Oftmals frug man sich, wie viel Taktgefühl wohnt einem solchen Menschen inne, um drei, vier, ja bis zu vierzehn oder mehr TänzerInnen als homogenes Ganzes erscheinen zu lassen, wenn schwierigste Bewegungen einzustudieren waren und komplexe Choreographien ein Timing verlangten, bei dem selbst ein Nurejew das Handtuch geworfen hätte. Sie warf es nie, jenes sagenumwobene, schweißdurchtränkte Handtuch. Sie achtete stets darauf, dass rechts und links, vorne und hinten aber auch oben und unten bei Jedem/Jeder in Fleisch und Blut übergingen, sodass jeder von ihr choreographierte Tanz als ein ausbalanciertes ästhetisches Ganzes gesehen werden musste. Doch nicht allein das Entwerfen und Vermitteln von klassischen, bis in unsere Tage hin tradierten, Massenchoreographien zählt zu ihren Stärken. Ihre profunden Kenntnisse im Bereich des Balletts, des Stepptanzes und des Classical Jazz Dance brachte sie ein, wenn es galt, ein fußkrankes Hühnchen wie einen schwebenden Schwan, einen trampelnden Elephanten wie den Zwillingsbruder von F. Astaire, oder gar Tanzensembles mit einem Durchschnittsalter von 30plus wie Teenie-Boy- / Girliegroups erscheinen zu lassen.
In unseren Theaterkreisen bezeichnet man so jemanden als ‚erfahrenes Theaterpferd‘, das nichts aus der Ruhe bringt und der damit alles für das gute Gelingen einer Produktion gibt. So ein Mensch ist Miss Marilyn. Selbst in jenen Momenten, wo sie der alleinige Mittelpunkt des Theaterabends war – und dieser Platz war ihr von Anfang an sicher – war sie es doch, die all die Jahre, Abend für Abend, mit einer allgemein erwarteten und stets von Beifall begleiteten Ouvertüre als erste präsent sich zeigte, um so das Fluidum des flüchtigen Ereignisses immer wieder aufs Neue zu kreieren. Gleichsam fing sie bei jedem dieser ihr eigenen kurzen Momente, wo sie sie war, Atmosphäre auf und jede Nuance ihres Spiels erzählte Bände.
Doch was stak hinter der langjährigen musikalischen Leitung, die immer an vorderster Front, meist im angedeutetem Orchestergraben, symphonisch wirkte? Jener virtuosen Pianistin deren stets lächelndes Antlitz dem Publikum über so viele Jahre nur kurz offenbart wurde, da sie doch über Jahre hin in konzentrierter Fokussierung rittlings dem Zuschauer den Rücken zugewandt und das Textheft fest im Blick hatte, um allenfalls mit Bravour zu soufflieren, sollte ab und an im Eifer des Gefechts ein Wort, ein Satz oder gar eine ganze Seite an Sprechtext übersprungen worden sein.
Hinter ihr stand und steht das gesamte Ensemble der HOSIsters – einig und geschlossen.
Hinter ihr stand aber auch das Publikum, wenn sie, wie in seltenen Fällen, technische Pannen zu Momenten gerinnen liess, die anmuteten, als wäre nichts geschehen, und der allzeit gültige Wahlspruch zum Paradigma wurde, der sie antrieb, und den sie zur allgemeinen Direktive ausgab:
„The Show must go on!“
Mit diesen einzigartigen musikalischen und theaterpraktischen Vorbedingungen, die Marilyn von Anfang an mitbrachte und über Dekaden hin weiter entwickelte, formte sie das Erscheinungs- und Darstellungsbild der HOSIsters maßgeblich mit und legte Jahr für Jahr einen neuen Prüfstein vor, an dem es galt noch Ungeschliffenes abzuwetzen, um so einer steten Steigerung von Anspruch und Qualität gerecht zu werden. Dabei aber spielte sie sich nie in den Vordergrund (obgleich sie immer im Vordergrund spielte), war im orchestralen Gleichklang sprichwörtlich die ‚erste Geige‘, wenngleich für sie die Tasten des Klavichords als Bretter der Welt galten, und brachte trotz der schwarz-weiß gefärbten Klaviatur stets Buntheit und Lebendigkeit mit in die Gauklergemeinschaft. Dies zeigte sich insbesondere dann, wenn sie in unnachahmlicher Art und Weise oft und mit durchwegs hoher Genauigkeit ihr ausgeprägtes Managementverständnis dazu einsetzte, hoch komplexe organisatorische Aufgaben zu systematisieren, zu delegieren und last but not least, auch zu dirigieren und letztendlich mit weiser und behutsamer Hand alle Abläufe rund um eine Produktion zu steuern, damit jedes Mal aus dem Nichts ein unvergessliches Etwas entstehen konnte.
Es mag an dieser Stelle jedoch auch nicht verwehrt werden, ein paar persönliche Worte über sie zu verlieren, gilt es doch in einer Rückschau auf über dreißig Jahre hochprofessioneller Theaterarbeit nicht allein die Genese einer Karriere zu beleuchten, deren Zenit noch lange nicht erreicht worden ist, sondern auch den wunderbaren Menschen zu erhellen, dessen Verdienste weit über bisher Gesagtes hinaus gehen.
Die, die die Ehre und Freude hatten mit ihr zusammen zu arbeiten, sahen und sehen in ihr stets mehr als die Lenkerin und Steuerfrau eines stolzen Schiffs namens HOSIsters, mehr als einen rettenden Anker bei stürmischem Furioso. Immer war und ist sie Freundin und Partnerin zugleich. Ihr Wesen kann, um bei der bemühten musikalischen Vortragsbezeichnung zu bleiben, als agile mit einem Schuss amabile beschrieben werden. Gleichsam aber auch als ein con sentimento und con tenerezza, das sich nie dem Animato verschloss. Wer Marilyn in ihrer Privatheit bei prasselndem Feuer am Kamin, nippend an einem Gläschen Rotwein kennen- und schätzen lernen durfte, der attribuiert ihr zu recht appassionato und grandioso.
Diese zutiefst menschlichen Qualitäten, die sie selbstlos in die Gruppe einbrachte, zeugen von einer langjährigen Bereitschaft einer Praktikerin, über die Ausübung des harten Handwerk hinaus gehend, immer auch als Integrationsfigur zu dienen. Daher kommt es auch, dass schon lange, bevor der staatliche Akt der vollrechtlichen Einbindung der Texanerin in unser schönes Land sie längst in die Herzen ihrer getreuen Freunde und Freundinnen, Kollegen und Kolleginnen fest eingeschlossen wurde.
Jetzt, in unseren Tagen, nach einer Zeit des künstlerischen Schaffens über so viele Jahre hinweg eine Auszeit zu nehmen ist mehr als nur gerechtfertigt und erinnert uns wehmutsvoll an einen der Schlüsselsätze, der Marilyn bei fast jeder Aufführung in den Mund gelegt wurde, und der da lautete:
„20 Minuten Pause!“
Mag sein, dass ihr Rückzug ins Private, ihre wohlverdiente Rekreationsphase länger als jene sprichwörtlichen zwanzig Minuten anhält; die Theaterwelt misst sie bereits jetzt schon.
Nicht so wir, ihre Freundinnen und Freunde, da sie nach wie vor hinter den Kulissen ein fixer Bestandteil unserer Lebenswelt ist und bleibt!
(W. F.)
Dieter Schmutzer
Den verdienstvollen Titel des ‚Ehren-HOSIster‘ dürfen nicht viele als Titulus Honoris zu ihrem klingenden Namen tragen. Dr. Dieter Schmutzer ist ein solcher! Der allseits bekannte und beliebte langjährige Doyen der Theatergruppe hat ihn sich redlich verdient. Hier nun eine allumfassende Rückschau auf über drei Dezennien wahrlich einzigartigen Wirkens eines wahrhaft großen Mimen und guten Freundes.
Dieter als Homo culturalis und Homo creator
Wer, wie der Verfasser dieser in aller Bescheidenheit niedergelegten Hommage, die HOSIsters seit ihrer Frühzeit kennt, weiß auch Bescheid über die Anfänge der Theatergruppe in den frühen 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Damals, so erzählen die Alten, begab es sich, dass bei der verwegenen Truppe junger, engagierter Verfechter für die Anliegen der Community, auch eben jener Dr. Dieter Schmutzer war, der mithalf den Meisel zu schwingen, als es galt den Grundstein für die Theatergruppe der HOSI zu formen, um ihn, damals noch in den Tiefen des 2. Wiener Gemeindebezirks, zu versenken. So kann man mit Fug und Recht behaupten, dass seit Bestehen der Gruppe ein nicht unbedeutender Teil des Gesamtkunstwerks HOSIsters auf den mit meisterhafter Schaffenskraft beseelten Dieter Schmutzer zurückzuführen ist.
Schon in den Gründerjahren, als der dramatische Text eher noch als schmückendes Beiwerk und allenfalls verbindendes Element zu gesanglicher Darbietung angesehen wurde, schwang Dieter die stets geschliffene Feder und schrieb sich unermüdlich eine Pointe nach der anderen aus dem Leibe, von denen bis heute viele nichts an ihrer Gültigkeit verloren haben. Ihm auch ist es zu verdanken, dass sich im Laufe der Entwicklung von Produktion zu Produktion immer mehr Textliches in das dramatische Ganze einwob, und es ist unnötig zu erwähnen, dass seither W. Dieter in unzähligen Produktionen als Autor hervortrat, dessen Geist, Witz und Esprit durch punktgenaue Formulierung ebenso ausschlaggebend für den Erfolg eines Stückes war, wie es seinem unnachahmlichen Talent beim Entwerfen formvollendeter lyrischer Passagen, exakter Hexameter und lustiger Limericks in Verbindung mit einem fast unerschöpflichem Reservoir längst vergessener Worte und zugleich einer exorbitant ausgeprägten Kenntnis sämtlicher wesentlicher deutschsprachiger Literatur und Dramatik zu verdanken ist und war, auf denen das gesprochene Wort bei den HOSIsters letztendlich fußte und auf das immer noch gerne zurückgegriffen wird, gilt und galt es doch eine seiner stets mit Bedacht verfolgten – deshalb dennoch nicht weniger unermüdlich mit Nachdruck verfochtenen – Prämisse Geltung zu verleihen, die da heißt und hieß: Volkstheater entbehre keineswegs des Bildungsanspruchs! – auch nicht an die jeweiligen Akteure und Aktricen und schon gar nicht an das p. t. Publikum.
Über Dieter als Homo loquens und Homu ludens
Dem vorangestellten Motto treu geblieben, formte der eloquente Sprachkünstler und Wortakrobat ebenso zahlreiche Libretti , deren Neufassung jedes Mal den Sturm der Begeisterung auszulösen suchte, was meist gelang. Doch nicht nur die geschriebene Sprache heftete Dieter sich an seine theaterpraktische Fahne. Mitnichten. Auch das gesprochene Wort war und ist ihm ein besonderes Anliegen.
Als ausgewiesener Kenner und Beherrscher diverser international anerkannter Sprech- und Atemtechniken gelang es ihm der klaren Formulierung und dem bestimmten Worte in all diesen Jahren den der Sprache gebührenden Platz zu erringen und zu behaupten. Nicht ablassend am Feilen und Verbessern von Artikulation, Lautmalerei und Redefluss ist uns damit eine Persönlichkeit in Erinnerung, deren archetypischer Duktus, gelinde gesagt, als Typologie Schmutzerscher Prägung überliefert ist.
Doch für Ihn ist Theater mehr als geschliffenes Wort, gezieselter dramatischer Korpus – weit mehr!
Dies zeigte sich allabendlich in seinen Darbietungen, in denen er den Mythos eines Schauspielers kreierte, zu dessen handwerklichen Fähigkeiten es zählte, aus jeder Rolle eine Typenfigur zu entwickeln die seinesgleichen sucht. In ihm ward Verkörperung zu Fleisch geworden. Sein überragender Gestus und seine pointierte Mimik zeichnete dem Kantigen eine weiche Aura, dem Lieblichen ein auratisches Glänzen und der Leidenschaft eine belanglose, melancholische Noblesse, so dass er jede Bühnenfigur, die er zur Perfektion anstrebte, mit Leben beseelte. Gleich ob es sich um seine Glanzrolle, die des jugendlichen Liebhabers, handelte oder den würdevollen Greis, bis hin zum komischen Alten und schrulligen Sonderling. Immer verknüpfte er göttliche Darstellung und präzises Spiel, um dem Gezeigten seinen Odem einzuhauchen. In der Tradition der großen Mimen, wie wir sie alle noch kennen, sei es ein Kainz, ein Aslan – eine Wessely, all jene Einzelkomponenten höchster Schauspielkunst vereinigten sich in Dr. Dieter Schmutzers Spiel. Da war keine Rampe (sofern es sie gab) zu weit weg, er erklomm sie. Kenner des Theaters, Wissende um die Komplexität theatralen Zeigens, ahnen, welche Mühen und Anstrengungen dies voraussetzte. Er – der immer dann aus der Seitengasse kam – wenn es das Stück verlangte, rang dem Fiktiven in der Darstellung alles ab bis das Reale vor uns sichtbar wurde und gewann damit die Herzen seines Publikums, das auch und gerade deshalb den Abenden beiwohnte an denen er mit spielerischer Leichtigkeit ganze Welten vor den tränenfeuchten Augen der gebannten ZuschauerInnenschaft imaginierte. Dem Heldenhaften setzte er die Krone auf neben der die eines Richard III. wie ein Stück mattes Altmetall erscheinen musste, das Gute überzeichnete er gekonnt bis die Frage queerer Identity restlos herausgeschält wurde, und erhob er seine donnernde Stimme mit zeigender – ja wegweisender – Hand, dann erzitterte sein Widerpart und der ganze Saal jubelte. Ganz anders gab er elegische Liebhaber mit tenoralem Überbau. Da wob er ein dichtmaschiges Netz an filigraner Bindungen zwischen sich und dem Zuschauer. Für ihn war die Rampe zur Überwindung da. Das Publikum mit einzubeziehen in sein feines Spiel war und ist sein Markenzeichen. In diesem Eins werden im hic et nunc war jeden Abend Schöpferisches am Werk. Oftmals, und dies nicht zu Unrecht, schrieb die Kritik von jenen Abenden:
„Es war ein unvergessliches Erlebnis. Der Protagonist nahm den jungen Eleven an der Hand, drückte ihm zärtlich aber bestimmt mit seinen spitzen Lippen einen Kuss auf die Stirn, und wir wussten alles ….“.
Daher ist es nur zu verständlich, das sich diesem Credo der Schaustellerei auch sein gesangliches Oeuvre anschloss, ja um nicht zu sagen, unterwarf. Der tragenden Rolle folgte stehenden Fußes die tragende Stimme. Sicher, nicht alle Register tonaler Emotionalität konnte er zu jeder Minute ziehen, der/die Hörende musste vor Verzückung vergehen, um so behutsamer schloss er jedes Mal seine Augen und traf den Kern eines Liedes aus einem so großartigen und über Jahrhunderte geronnen Repertoire an Sing-, Trinkliedern abseits der allerorten heute so modernen Schlagerträllerei oder gar volkstümlichen Sing Sangs. Dem Chanson und der Moritat zugeneigt, scheute er aber nicht auch bisher gänzlich unbekannte Neuinterpretationen fast aller klassischen Arien und Operettenstücke aus dem Bauch zu pressen und gleichermaßen mit inbrünstigem Tembre oder glockenreiner Schwingung ein Gefühl zu erzeugen in dem er ohne aufgesetzte Emotionalität bis an die Grenzen ging.
Doch niemals überschritt er sie – die Grenzen; dabei wäre es ihm ein leichtes gewesen, alles in Grund und Boden zu singen. Dieter war anders. Ein Teamplayer. Dem Chor gab er Stütze und unaufdringliche Hülle, beim Duett rundete er verlässlich ab und war da wenn es hieß: Hier benötigen wir noch eine aussagekräftige Stimme, deren Gesang die Fülle des zu singenden Liedes das zu Hörende erst als Ganzes und Fertiges erschienen ließ.
Sein Werken und Wirken als Homo cooperativus und Homo humanus
So wie er sich sprachlich, dramatisch und gesanglich nie als Alphatierchen oder gar egomanischer Selbstdarsteller und Einzelkämpfer sah, so war es auch beim Tanz für ihn selbstverständlich, den Solopart ab und an auch mit anderen zu teilen. Wenngleich Dieter, Grazie und Rhythmus im Blute, immer so erschien, als ward ihm das Ausdrucksmittel des Tanzes in die Wiege gelegt worden, von dem mancher nur träumen kann, aussagelosen Zuckungen der Glieder hatte er nie so richtig etwas abgewöhnen wollen. Und so schloss er mit bravouröser Eleganz die Reihen der Massenchoreographien, die nun mal auch am Theater notwendig sind, um das Quäntchen Unterhaltung mit ins Spiel zu bringen, das notwendig ist eine Aufführung als gelungen zu betrachten. Mühelos sprang und sang er dann die Abende hindurch und blickte nicht auf sich und sein Wohl, sondern priorisierte immer ausnahmslos das reibungslose Miteinander für ein rundum wohlgestaltetes theatrales Kunstwerk.
Damit aber kommen wir zum eigentlichen Menschen Dieter Schmutzer, der diese Gruppe jahrelang als verständnisvoller Mentor leitete und führte. Von Anfang an war er weniger Prinzipal, obgleich er oft die meist mühevolle Verantwortung der Produktionsleitung übernahm, sondern immer Freund und Ansprechpartner. Die kleinen Sorgen einer Laiengruppe kannte er genau so, wie den richtigen Umgang mit Ereignissen in schwereren Zeiten. Dieter verstand es, mit dem richtigen Feingefühl und dem notwendigen Fokus auf das Wesentliche, diese Theatergruppe zu moderieren und zu modellieren ohne jemals den Blick auf die Freude am Gemeinsamen zu verlieren. Allzeit war er da und man(n)/frau wusste, dass er Fels in der Brandung ist! Mit dieser untrüglichen Bereitschaft sehr viel seiner eigenen Persönlichkeit in die Gruppe der HOSIsters hineinzutragen, säte er Keime der langjährigen Freundschaft und vertrauensvoller Integration. Naturgemäß sah er sich stets als Bindeglied zwischen den Anliegen der LGTBI-Community und einer breiten Öffentlichkeit, aber auch als Fahnenträger politisch-gesellschaftlicher Ziele zum Wohle der Gemeinschaft.
Seinen Rückzug in den ‚Vorruhestand‘ von der Bühne der HOSIsters (mancherorts rumort ja das erfreuliche Gerücht dies sei nur temporär) nahm nicht nur das gesamte Ensemble und die Mitglieder des Hauses wehmutsvoll zur Kenntnis, sondern auch die, die ihn in diesen dreiunddreißig aufopfernden Jahren begleiteten durften. Eine außergewöhnliche Bühnenkarriere hat damit vorerst ihre wohlverdiente Zäsur erhalten, zum alten Eisen jedoch zählt dieser Ausnahmeprotagonist deswegen noch lange nicht.
Die Gleichung geht auf: Homo ridens + Homo socius = Homo Schmutzeriensis
Mag sein, dass das gemeinsame Lachen mit ihm auf der Bühne und in der Garderobe, bei den Proben und den Premiere- und Dernierefeiern das ist, was mir persönlich am meisten fehlen wird. Doch glücklicher Weise bleibt es uns im Alltag mit ihm als guten Freund zur Seite noch lange erhalten!
(W. F)